Humans

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Humans, Brandon Stanton

Von meiner lieben Freundin Ana habe ich ein Buch geschenkt bekommen, das aus dem Rahmen meiner Buchvorstellungen fällt und mich trotzdem völlig umgehauen hat. 

Es ist kein Roman, sondern ein – ja was eigentlich? Der junge Fotograf Brandon Stanton fing vor etwa 10 Jahren an, mit seiner Kamera loszuziehen und Bewohner New Yorks zu porträtieren. Es entstand das Projekt „Humans of New York“ als Blog, es entstanden Gespräche und er begann, die Fotos mit kurzen oder längeren Aussagen der Portraitierten zu veröffentlichen.

Sein neuestes Projekt, das jetzt zum Buch ‚Humans wurde, porträtiert Menschen aus aller Welt. Es ist eine Art Bilderbuch der Menschlichkeit. Gleich das erste Bild zeigt einen muslimischen Mann mit seiner Tochter in Lahore, Pakistan. Sie sitzen in einem unverputzten Raum auf einem geflochtenen Bett und mein Kleinstadtgehirn assoziiert Taliban, und dann lese ich in dem kurzen Text:

„Ich habe meine Kindheit mit Arbeit zugebracht. Ich hatte gar nicht die Möglichkeit, in die Schule zu gehen. Ich habe stets die Jungen beneidet, die eine Schuluniform hatten. Dies ist ihr erster Schulmonat. Sie kommt jeden Tag nach Hause und erzählt mir genau, was passiert ist. Jeden einzelnen Tag. Ich genieße das. Wenn ich ein paar Tage lang nicht zu Hause bin, hebt sie sich alle Geschichten auf und erzählt bei meiner Rückkehr alle auf einmal.“

Hab ich mich geschämt.  Und schnell weitergeblättert. Menschen jeden Alters und Hautfarbe, jeder hat seine Geschichte. Es gibt seitenlange Geschichten, wie die des jungen Russen, der in einem Waisenhaus aufwuchs und sich nie adoptieren lassen wollte, weil er auf seinen gewalttätigen Vater wartete und der jetzt, nachdem sein Vater tot ist, auf wundersame Weise den Kontakt zu einer italienischen Familie wiedergefunden hatte. Er lebt bei seiner neuen Familie in Florenz und hat mit Anfang zwanzig zum erstmal im Leben Geburtstagstorte und Geborgenheit kennengelernt.

Es gibt kurze Aussagen wie die unter dem Foto zweier etwa 8jähriger Jungen, die ein kleines Mädchen begleiten, das einen Spielzeugdrachen in der Hand hält. „Wir ließen sie den Drachen aussuchen“. Das Mädchen hält strahlend einen Drachen vor sich, der mit Barbies bedruckt ist. In Udaipur, Indien.

Menschen, Menschen, Menschen. Geschichten voller Schmerz, Liebe, Niederlagen und Wunder.  Auf jeder Seite lerne ich einen Menschen kennen, an dem ich achtlos, ängstlich, beeindruckt vorübergegangen wäre. Kinder anzulächeln fällt mir nicht schwer,  aber verzweifelte Alkoholiker im Park? Eine Familie mit einem sichtlich schwerst behinderten Kind? Eine alte schwarze Stripperin?  Sie alle lassen Brandon Stanton nicht nur fotografieren, sondern geben ihm auch Einblick in ihr Leben, ihre Träume, ihre Niederlagen, ihre Verletzlichkeit und ihre Freuden. 

Noch ein Beispiel gefällig? Das kleine Mädchen auf der Schaukel in Rom, das auf die Frage, was sie machen will, wenn sie groß ist; antwortet: „Auf einer Schaukel für Große schaukeln“. Kann man mehr wollen?

Eine alte Dame in Jerusalem erzählt, dass Sie jeden Abend den Segen wiederholt, den ihr ihre Mutter zu Abschied mitgegeben hat: „Wohin Du auch gehst, mögen die Menschen immer erkennen, daß Du ein gutes Herz hast.“ Sie hat ihre Familie in Polen nie wiedergesehen.

Manchmal fällt es schwer an das Gute zu glauben, aber dieses Buch hilft, die guten Herzen der Menschen wahrzunehmen, ohne die Wirklichkeit zu beschönigen. 

Und nach all den Entdeckungen habe ich dann noch die Widmung von Ana entdeckt – aber das ist eine andere Geschichte, with love & squalour…

Brandon Stanton
Humans
Riva Verlag
448 Seiten
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