Daheim

Daheim 1920 1080

Uff, heute ist schon der 25. Mai und ich habe noch immer nicht über meine LeseErlebnisse berichtet. Dabei lese ich weiter, ehrlich! Aber vieles, über das ich nicht schreiben kann oder möchte. Über Hochbeete (ja, ich habe jetzt auch so ein schickes Teil, aber erst zaghaft von Pflanzen bezogen). Und als Buchhändlerin habe ich natürlich auch ein tolles Buch dazu gekauft: Hochbeet von Huw Richards.  Aber ob ich das ganze Jahr über Pflanzen auf der Fensterbank vorziehen möchte? Mal sehen… Erstmal dürfen die Tomaten ausziehen, die sich vor dem vielen MaiRegen noch drinnen versteckt haben.

Mein Kollege Andreas hat mir mal wieder ein Buch in die Hand gedrückt mit den Worten ‚Das ist was für Deinen Blog.‘ Judith Hermann, Daheim.

Zuerst tue ich mich schwer mit der Geschichte der zersägten Jungfrau, mit der der Roman beginnt. Eine Geschichte, die der Ich-Erzählerin nach 30 Jahren plötzlich wieder in den Sinn kommt. Damals wäre sie fast als Assistentin eines traurigen Zauberers auf einem Kreuzfahrtschiff nach Singapur gegangen.  

„Ich bin nicht nach Singapur gefahren. Ich habe andere Reisen gemacht. Ich habe Otis getroffen, wir haben geheiratet und eine Tochter bekommen, Ann. Ann ist groß, und Otis und ich sind auseinandergegangen.“ 

Judith Herrmann ist immer noch oder mehr denn je eine Meisterin des lakonischen Stils. Man taucht ein in ihre Art, die Welt zu sehen und zu beschreiben und plötzlich scheint alles ganz einfach, auch das eigene Leben.

Die Frau, die ihre Geschichte erzählt ist von Berlin an die Ostsee gezogen, in ein kleines, einsam gelegenes Häuschen. Sie arbeitet als Kellnerin in der Kneipe ihres Bruders, lernt ihre allein lebende Nachbarin Mimi und deren Bruder Arild, den Schweinezüchter kennen; schreibt Briefe an ihren Ex-Mann und vermisst ihre Tochter. Oder denkt an sie? Sie scheint keine Erwartungen zu haben. Wunschloses Un-Glück, der Titel hat mir immer gefallen (auch wenn ich mich nicht an den Inhalt des Handke Romans erinnern kann). 

Es gibt Liebe in diesem Roman, sie ist immer fast sprachlos, spröde,  so prosaisch, dass es mir fast weh tut – aber gleichzeitig bin ich fasziniert von dieser fremden Welt.  Und es gibt einen Gegenentwurf,  Sascha, der Bruder der Erzählerin ist mit fast 60 Jahren zum ersten Mal verliebt.

„Er hatte eine Liebesgeschichte mit einer zwanzigjährigen angefangen, sie machte ihn fertig, und er redete unentwegt darüber, affekthaft, unzusammenhängend und manisch…“

Als Teenager hatte ich eine Freundin, die in allem das Gegenteil von mir war. Sie schien sich nie Sorgen zu machen, nicht um die Schule, nicht um Jungs, nicht um ihr Aussehen.  Sie lächelte fast nie, ich aus Unsicherheit praktisch ununterbrochen. Heute lebt sie in einem kleinen Haus im Wendland. 

Ich sehe sie vor mir, wenn Judith Hermann schreibt: „…ihre Bewegungen sind von einer eigenartigen Großzügigkeit, vielleicht Gleichgültigkeit. Mimis Gesicht ist verschlossen, es ist aus der Zeit gefallen, alterslos und ernst und flach wie eine Scheibe, und ich denke, dass ich Mimi liebe und dass sie das weiß.“

Ohne Nachzudenken hat die Erzählerin angefangen, den Haustürschlüssel ihres Häuschens nicht mehr einzustecken, sondern unter eine Muschel zu legen. Bald wird sie das Haus gar nicht mehr abschliessen. Sie ist angekommen.

Judith Hermann
Daheim
S. Fischer Verlag
189 Seiten
21 Euro
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