Ein schmaler Roman aus Italien, ja wieder einmal Italien, mein fernes, fremdes Sehnsuchtsland. Ein Buch aus Neapel, noch ferner, noch fremder – doch fast sofort vertraue ich mich der Erzählerin Elisabetta an, einer nicht mehr jungen Lehrerin, die in dem Jugendgefängnis auf der Insel Nisida unterrichtet.
Die Art, wie Elisabetta in ‚Versprechen kann ich nichts’ die Welt sieht, ist voller Mitgefühl – weit entfernt von Mitleid. Sie sieht die Rollen, die jedem in diesem kleinen Universum zugeteilt worden sind und kann sie doch nicht durchbrechen.
‚Die jungen Männer sitzen da, um mir einen Gefallen zu tun, und am liebsten würde ich sie auf die Stirn küssen, wenn sie mich nur ließen, wenn ich mich nicht sofort zum Affen machen würde. Wenn die Beamten dort draußen nicht jede unserer Bewegungen durch die Scheibe beobachten würden. Die Beamten schauen zu, die Schüler passen sich ihrem Blick an, und ich ebenfalls.
Wir sind, wie sie uns sehen.
Sie unverfrorener, ich härter und verschlossener.’
Im Biologieunterricht erklärt Elisabetta die Stufen der Entwicklung des Homo Sapiens und wird gefragt, auf welcher Stufe sich ein Schüler am Ende der Entwicklung denn befindet, oder wie es ein Schüler fragt:
„Mit wem ist er hier gleichauf, professorè?“
(Hier ist er gleichauf mit dem Richter, der ihn verurteilt hat, und mit seinem Zellengenossen, mit Pythagoras, mit dem Mann, den er im Bett erdrosselt hat, und mit dem, der dort unten im Meer gerade eine Schleife mit seinem Motorboot dreht, mit dem Mädchen, das ihm gefällt, und mit Leonardo da Vinci, und mit dem einarmigen Alten, der an der Piazza Nicola Amore bettelnd auf dem Boden hockt und Nudeln aus einer Plastikschale klaubt…)
„Hier ist er gleichauf mit mir.“
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Und dann sitzt eines morgens ein neues Mädchen, Almarina, im Unterricht. Eine 16jährige Rumänin, oder das, was davon übrig ist, nachdem der Vater sie vergewaltigt und zusammengeknüppelt hat. Zwischen den beiden so unterschiedlichen Frauen entsteht eine Beziehung, die vielleicht ihren beiden Leben eine neue Richtung, einen neuen Sinn geben kann.
Wie das geschieht erzählt Valeria Parrella in diesem vielschichtigen Roman. Beiläufig und präzise werden die viele Facetten dieser Geschichte erzählt. Das Individuum und die Ordnung der Gesellschaft, das Vergehen der Zeit, die umumkehrbaren Entscheidungen – und die winzige Möglichkeit, trotz allem immer wieder neues Leben zu (er-)finden und immer wieder Träume zu haben. Und seien sie noch so unerfüllbar, wie der Traum des Schäferhundes des Kommandanten, der davon träumt, die Therapiegänse zu fressen…
Scheinbar mühelos wechselt die Autorin zwischen der Leichtigkeit, mit der die Insassen manchmal noch Kinder sein dürfen und der Härte der Existenz, die sie bisher kennengelernt haben. In der es ein Glück sein kann, im Knast zu landen.
‚Wer glaubt, Nisida sei eine Spielart der Stadt, kennt die Stadt nicht, und wer glaubt, die Stadt sei eine Spielart des Landes, kennt das Land nicht.‘