Erstaunen

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Erstaunen

Jetzt will ich schon so lange über ein besonderes Buch schreiben, das ich nur schwer zu fassen bekomme.  Richard Powers, Erstaunen. Ich habe es im Urlaub gelesen, es hat mich tief berührt, ich habe es teilweise nicht richtig verstanden und am Ende des Buches habe ich geweint – reicht das als Empfehlung? Oder schreckt es eher ab?

Ich versuche es doch mal von Anfang an:

Ein junger Vater, von Beruf Astrobiologe, muss nach dem Unfalltod seiner Frau seinen 9jährigen Sohn Robin allein aufziehen. Beide kämpfen mit ihrer Trauer, doch Robins Einzigartigkeit, die seinen Vater so rührt, stösst immer wieder an Grenzen, er eckt in der Schule an und wird immer wieder von Ärzten untersucht. 

‚Sein zweiter Kinderarzt wollte für Robin einen „Platz im Spektrum“ finden. Ich hätte dem Mann gern erklärt, das alles, was auf diesem glückseligen kleinen Planeten kreucht, seinen Platz im Spektrum hat. Das ist es ja, was das Wort Spektrum bedeutet. Hätte ihm gesagt, das diese Störung das Leben selbst ist, das jeder von uns seine ganz persönliche Farbe in der Palette dieses Regenbogens hat. Aber noch lieber hätte ich ihm in die Fresse geschlagen. Ich nehme an, auch das ist eine Störung, die einen Namen hat.’

Noch bevor der Wind der Veränderung einen kleinen Jungen in mein Leben wehte, hat mich das Buch in seiner überwältigenden Zärtlichkeit umgehauen. Es ringt auf jeder Seite mit der Frage, wie man ein überkluges, übersensibles Kind auf einem ‚schnell sterbenden Planeten‘  wie Kurt Vonnegut ihn genannt hat, großziehen kann.  Ein Kind, das sich wieder und wieder auf YouTube die Videos seiner toten Mutter Alyssa anschauen möchte, einer Aktivistin für Tierrechte. 

‚Ich hätte mich ohrfeigen können, dafür, dass ich geglaubt hatte Robin könne ein solches Video wegstecken. Aber er hatte seine Mutter sehen wollen, und ehrlich gesagt hielt er sich bemerkenswert gut. Neun, das ist das Alter der großen Veränderungen. Vielleicht war die Menschheit selbst ein neunjähriges Kind, noch nicht erwachsen, aber auch kein Baby mehr. Auf den ersten Blick alles im Griff, aber immer am Rande der Raserei.

Alyssa kam ans Ende ihres Vortrags. Sie erinnerte daran, dass, nach Gewicht gemessen, achtundneunzig Prozent des Tierbestands dieses Planeten entweder Exemplare der Gattung Homo Sapiens waren oder zu Nahrungszwecken aufgezogene Nutztiere. Nur zwei Prozent lebten wild. Könnte man denn nicht mit dem wenigen, was es an Wildnis noch gab, ein winziges bisschen Nachsicht haben?’

Mir geht es wie Robin – ist das wirklich so? Stimmt das? Ich weiss es nicht. Aber ich halte es aus. Robin nicht, er versucht das Massensterben der Arten aufzuhalten, ähnlich wie Greta den Klimawandel. Greta kommt in dem Roman vor, ebenso wie Donald Trump – unter anderem Namen, aber klar zu erkennen.

Der verzweifelte Vater versucht seinen Sohn mit Erzählungen erfundener Planeten zu trösten. Und er macht ihm (und uns) klar was für ein überwältigender Zufall die Entstehung des Lebens auf unserem Planeten ist. Um es mit den Worten von  Richard Powers Erzähler zu sagen leben wir in ‚einer Welt im Wandel, die es nach allen Regeln der Wahrscheinlichkeit nie hätte geben dürfen.‘

Der Schutzumschlag zitiert eine Stimme aus den USA – „Ein erschütterndes Meisterwerk“

Vielleicht ist es das. Vielleicht auch nur ein Versuch, der Welt, in der wir leben einen Moment ins Auge zu blicken. Voller Liebe und Schmerz.

Reicht das als Empfehlung? Oder schreckt es eher ab? Lassen Sie sich nicht abschrecken!

Richard Powers
Erstaunen
S. Fischer Verlag
320 Seiten
24 Euro
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