Allein

Allein 1920 1080
Daniel Schreiber, Allein

Allein – so heisst das neueste Buch von Daniel Schreiber und fast gleichzeitig mit meiner Entscheidung, darüber schreiben zu wollen, hörte mein Alleinsein fürs erste so sehr auf, dass ich keinen Raum mehr zum Schreiben gefunden habe. 

Schon lange hatte ich kein Buch mehr gelesen, dass vor Anmerkungen und Literaturangaben  nur so wimmelt. Was dieser Mann alles gelesen hat, ist beeindruckend. Und anregend – ich fürchte ich habe für den Rest meines Lebens Vorschläge von ihm erhalten, was sich noch zu lesen lohnen würde. Aber man kann das alles auch unbesorgt ignorieren und sich vertrauensvoll dem Fluss seines Erzählens überlassen – und immer wieder innehalten und sich verstanden fühlen auf eine völlig überraschende Weise. 

‚Nie fühle ich mich so einsam wie zum Ende des Jahres‘ – dieses Gefühl so klar zu spüren, zu benennen, zu veröffentlichen löst bei mir Wiedererkennen, Freude, Scham aus. Und in dieser Gefühlsmischung bleibe ich beim Lesen dieses Buches – wobei die Freude manchmal in Euphorie zu kippen droht, die dazu führt, dass ich das Buch am liebsten meinen Freunden vorlesen möchte. Oder  wenigstens meinem Hund. 

Einsamkeit und allein sein,  trotzdem sein Leben in einem Wirbel von Freunden zu verbringen und es gut zu haben – dieses Lebensmodell wurde durch die erste Welle der Pandemie kräftig durchgerüttelt. Plötzlich schienen alle Lebensformen, die nicht auf Familienbande basierten, nicht mehr zu zählen.  Klug erzählt Schreiber von den Veränderungen seines Lebens, setzt sich mit der Idee der Selbstfürsorge auseinander, die er bis dahin nur für eine neoliberale Technik der Selbstoptimierung hielt. ‚Unerwarteterweise zog so eine bestimmte Ruhe in mein Leben ein. Ich genoss meine kleinen täglichen Routinen, das Lesen, Schreiben und das Yoga, die langen Spaziergänge und abendlichen Spanischlektionen… Ich hatte den Eindruck, etwas über mich zu lernen, eine neue Seite an mir zu entdecken.’

Diese persönlichen Erfahrungen werden gekonnt mit Reflexionen und Gedanken anderer vermischt -so erfahre ich nebenbei, dass für den Philosophen Odo Marquard der springende Punkt der Einsamkeit nicht in dem Schmerz, den sie verursacht, sondern in unserer Fähigkeit, mit diesem Schmerz umzugehen liegt, in unserer „Einsamkeitsfähigkeit“.

Gedankensprung – erinnert sich noch jemand an ‚Die neuen Leiden des jungen Werther‘ von Plenzdorf? An den Gedanken, dass ein Buch so toll ist, dass man den Autor unbedingt kennen lernen will? Damals war es Salinger – heute wäre es Daniel Schreiber.

Auch weil er Audre Lorde zitiert, die während ihrer Krebserkrankung zu dieser Einsicht kam: Zu den Dingen, die man nur schwer akzeptieren kann, gehört der Umstand, dass man in Unsicherheit leben muss, ohne sie zu negieren oder sich hinter ihr zu verstecken.

Oder wegen der Liste, die er während einer Therapie angelegt hatte, wie er sich seine eigene, ganz private Zukunft vorstellte… in einem alten Bauernhaus in der Nähe Berlin, nicht allein, sondern zusammen mit jemanden, den ich liebte, jemanden, mit dem mich gemeinsame Interessen, unablässige Gespräche, Lust verbanden. Es sollte ein offenes Haus sein, in dem immer Platz für Besuch und Zeit für große Essen wären. In dem dazugehörigen Garten würde ich Gemüse und Obst anbauen…  

Vielleicht auch, weil er sich bewußt ist, dass eine neue Ära der Unsicherheit angebrochen ist. Und weil er das hohe Lied der Freundschaft singt. Freundschaft und ihr Balanceakt zwischen Nähe und Distanz als Beispiel dafür, wie man mit Uneindeutigkeit leben kann. 

Und noch ein weiteres Beispiel dafür findet Daniel Schreiber in dem Garten, den der Filmemacher Derek Jarman im Wissen um seine HIV Erkrankung im Schatten eines AKWs angelegt hat. Vielleicht ein Lebensmodell auch für ihn – nicht nur für ihn.

Klingt schrecklich? Ich kenne kein tröstlicheres Buch. 

Daniel Schreiber
Allein
Hanser Verlag
116 Seiten
20 Euro
Das Buch über die ‚Schwarze Geiss‘ kaufen? Klicken Sie auf den unten stehenden link.