Tage mit Felice

Tage mit Felice 1920 1080
Tage mit Felice

Es ist kalt, nicht schön kalt, Sonne  und knirschender Schnee unter den Stiefeln – einfach kalt, Schneeregen, grau und kalter Wind.  Lockdown im Winter, die Inventur liegt hinter uns; während meine Freunde auf das Zufrieren des Untersees warten, warte ich auf den Frühling.

Doch zuvor möchte ich noch ein wunderbares ‚langweiliges‘ Buch vorstellen, das im Tessin, genauer im Bleniotal spielt. ‚Tage mit Felice’  von Fabio Andina. Der Ich-Erzähler, der das Dorf von Kindesbeinen an kennt, bittet Felice, den alten Maurer, ihn ein paar Tage lang begleiten zu dürfen. Um ein bisschen so zu leben wie er.  Und so geht er am nächsten Morgen mit Felice durch Regen und Dunkelheit durch den Wald zu der Gumpe im Wildbach, wo Felice jeden morgen splitterfasernackt sein Bad nimmt. Und auch sein Begleiter. 

‚Ich mustere das düstere Becken. Wer zwingt mich denn dazu, sage ich mir, ich friere, es regnet, es ist dunkel. Aber ich habe es selbst gewollt. Ich ziehe mich aus und tauche mit einer Art Sprung hinein, schreie auch irgendwas. Und schramme mir die Knie am felsigen Grund auf.’

Und so dürfen auch wir Leser Felice begleiten, beobachten und in das einfache und komplexe Dorfleben eintauchen. Immer wird irgendetwas getauscht, jede kleine Hilfe wird durch eine Tüte Gemüse, die plötzlich an der Tür hängt, vergolten. Das Leben im Hier und Jetzt, dem ich immer wieder versuche, auf die Spur zu kommen,  eine Schlichtheit und Einfachheit, die ich sonst mit ZEN in Verbindung bringe, alles ist da, im Leben des alten Felice, der wenig redet, aber so viel zu verstehen scheint. 

Die Sorgfalt, mit der Felice den Apfelbutzen in sein Taschentuch wickelt, um ihn zu Hause auf den Kompost zu werfen, Giovanna Tutta Panna (reinste Sahne), die den Schulbus fährt,  das Kind des Bauern Sosto, vom dem man im Dorf sagt, dass er Brot und Fuchs gefrühstückt hat, weil er so aufgeweckt ist. Überall gibt es etwas zu sehen, dass unseren Augen sonst entgangen wäre. 

Fabio Andina erzählt die Geschichte von Felice und seinem Dorf ohne falsche Romantik.  Er ist ein ‚integrierter Fremder‘, lebt in der alten Käserei, die seine Eltern als Ferienhaus ausgebaut hatten. Dort, wo vor dem Krieg Butter und Käse gemacht wurden. Danach wurde nur noch die Milch der Kühe des Dorfes dort gesammelt. Bis zu tausend Liter am Tag.  Jetzt hat nur noch Sosto, der letzte Bauer Kühe. Aber das Haus heisst noch immer die Käserei. Die Veränderungen sind an jeder Ecke spürbar, und doch scheint das Gefüge des Dorfes zu halten.  

‚Tage mit Felice‘ ist ein Roman, der entschleunigt.  Der einen dazu bringen kann, das eigene Leben wieder einmal neu zu betrachten. Ich werfe nicht mehr aus Bequemlichkeit den Tee in den Restmüll. Felice würde es nicht wollen…

Fabio Andina
Tage mit Felice
Rotpunktverlag
235 Seiten
24 Euro
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