Titel können verwirrend sein. Das neue Buch von Raffaella Romagnolo heisst ‚Dieses ganze Leben‘ und erzählt nur drei Monate Leben aus der Sicht eines Teenagers. Dass es ein Teenager sein muss, erklärt sich schon im ersten Satz: ‚Ich bin hässlich.‘ Paola ist klug, klarsichtig und wahrheitsliebend und hat sich seit ihrem 9. Lebensjahr in einem Panzer aus Übergewicht vor ihrer schönen, sportlichen Mutter verkrochen. Die kontrolliert laut Paola eher ihr Gewicht als ihre Schulnoten und versucht, sich nicht allzusehr anmerken zu lassen, wie sehr sie sich für ihre dickliche Tochter und deren behinderten Bruder schämt. Ricky sitzt im Rollstuhl, kann sich nur undeutlich artikulieren und spielt gern Schach – oder den geistig Behinderten, wenn es ihm gerade passt. Insomma – beide Kinder passen definitiv nicht in das Milieu der Reichen und Schönen, trotz der Villa, des Pools, des rumänischen Dienstmädchens und des Bauunternehmens, dass der Großvater ins Leben gerufen hat und der Vater erfolgreich leitet. Die Firma hat die Margeriten-Siedlung gebaut, die trotz des wohlklingenden Namens eine eintönige Sozialbausiedlung ist und steckt mitten in der Planung einer neuen Siedlung, der Biosolar, für eine neue, zahlungskräftigere Klientel.
Paola und Ricky, den Paola nur den ‚Opf‘ nennt, wehren sich gemeinsam gegen die Zumutungen des Lebens, die ihnen von der Schule, den Mitschülern, den Eltern auferlegt werden. Die tägliche Stunde ‚strammen Gehens‘ mit Ricky im Rollstuhl, die Paola absolvieren soll um Kalorien zu verbrennen, benutzen die beiden für ihre kleinen Fluchten zum Kiosk, um sich mit Chips und Süssigkeiten vollzustopfen und zur Erkundung des Universums abseits des Villenviertels. Sie wagen sich auch in die der Mutter verhasste Margeriten Siedlung vor…
Auf wunderbare Weise verbindet Raffaella Romagnolo das Lebensgefühl eines Teenagers mit einer beiläufig präzisen Schilderung von Klassenunterschieden im Norditalien von heute. Das ganze gemischt mit Verwirrung, Liebe und Verbrechen. Wunderbar unterhaltsam, für alle, die sich an die Jugend erinnern (wollen). Oder Jugendliche, die sich für die Realität interessieren.